Mit den Jungs auf Helgoland

Die Berliner Gruppe lernen wir beim Abendessen kennen. Danach weiß ich, dass ich es mit unseren sieben Jungs wirklich gut erwischt habe. Was für wohlerzogene Kinder! Rüdiger bezeichnet die 20 Kinder als Berliner Sozio-Gören. Wir schauen ihnen mit großen Augen zu, wie sie wild durch den Speisesaal rennen, sich beschimpfen, kloppen, an der Kleidung und den Haaren ziehen und, von den Betreuern eingefangen, laut SCHREIEN. WOW, dafür muss man wirklich Sozialpädagogik studiert haben! Selbst unsere Jungs, die etwa im gleichen Alter wie die Berliner sind, machen große Augen.

Später treffen wir die Berliner am Strand nahe der Jugendherberge wieder und können weitere Prügeleien verfolgen. Die armen Betreuer. Die schnappen sich immer zu zweit je einen der tobenden und schreienden Streithähne und halten sie so lange umklammert, bis die Anspannung nachlässt und sich das Kind beruhigt – oder aufgibt? Hat ein bisschen was von einem Rodeo. Je Kind dauert es bis zu 15 Minuten, bis es mit dem Schreien, Treten, Kratzen und Beißen aufhört. Schon am nächsten Tag sehen die Betreuer fast genauso ramponiert aus wie ihre Kinder.

Kerstin, die eine Betreuerin, erzählt mir, dass der Körperkontakt, die beste Möglichkeit sei, die rasenden Kinder zu beruhigen. Keine Ahnung, ich hab schließlich Naturwissenschaften und nicht Sozialpädagogik studiert. Jetzt weiß ich auch warum…

Im Anschluss an unseren Strandausflug weiß ich zwei neue Dinge.

1. Unsere Jungs finden den Strand doof!
Ich hatte gedacht, sie würden sich mächtig freuen und im Wasser rumpanschen, alles mögliche Getier und Zeugs anschleppen, Burgen bauen und so weiter. Die Berliner Kinder machen genau das – sofern sie sich nicht die Haare ausreißen. Unsere finden es bereits nach einer halben Stunde am Strand langweilig und fragen mich, was ich mir sonst noch zur Unterhaltung ausgedacht habe. Das kann ja heiter werden.

2. Rüdiger hat sich spontan verliebt
In Kerstin, die Berliner Betreuerin. Die kleine Süße… Da will er dranbleiben. Großartig!

Obwohl unsere Kinder nicht ansatzweise so wild sind wie die Berliner, schaffen sie es schon am ersten Tag, den Herbergsvater in schlechte Stimmung zu bringen. Torsten und Paul spielen im Zimmer Cowboy und Indianer oder irgendein anderes wildes Spiel, das in einer freundschaftlichen Rangelei ausartet. Dummes Missgeschick, Torsten drückt Paul gegen die Schranktür. Paul landet im Schrank, Tür kaputt. Kleinlaut klopfen sie ans Betreuerzimmer. Wir schaun uns das an und ich kann nicht anders als lachen. Was sind das denn für ulkige Pappschränke, dass sie nicht mal ein siebenjähriges Kind aushalten?

Der Herbergsvater wird geholt und findet das gar nicht lustig. Er schimpft so laut und lange, bis der kleine Paul anfängt zu weinen. Aber, aber… wir haben doch nur gespielt… Schluchz. Als Sohn einer Polizistin hat er für seine sieben Jahre ein ausgeprägtes Rechtsempfinden. Jetzt hat er etwas ganz „Schlimmes“ gemacht und seine Mutti wird enttäuscht sein. Ich bin nun im Gegenzug stocksauer auf den Herbergsvater und erkläre Paul in seinem Beisein, dass das nur ein bisschen kaputtes Spanholz ist, nichts Schlimmes und dass niemand mit ihnen schimpft.

Torsten ist im Vergleich zu Paul ein kleiner Rabauke, aber er ist ebenfalls sichtlich eingeschüchtert. Ich beruhige auch ihn, dass es nicht der Weltuntergang ist, dass es die Versicherung bezahlt, ihre Eltern nicht schimpfen werden und alles gut ist.

Da es sowieso ausgemacht war, dass die Jungs am Abend ihre Eltern anrufen, dackeln wir nun alle zur nächsten Telefonzelle. Als erstes bringe ich Torstens und Pauls Müttern möglichst schonend bei, dass ihre Söhne einen Schrank zerlegt haben. Wobei ich schon wieder mit dem Lachen kämpfe. Genau wie die Jungs muss ich auch ihre Mütter beruhigen, dass alles in Ordnung ist. Torstens Mutter ist nicht sonderlich begeistert, kennt ihren Torsten aber gut genug, dass da schon mal was kaputt geht. Pauls Mutter ist dagegen erschrocken. Als er Mutti am Telefon hat, weint er wieder, wie leid es ihm tut und dass er das nicht wollte. Heimweh hat er anschließend auch volles Rohr.

Während die anderen Jungs einer nach dem anderen mit ihren Eltern telefonieren, sitzt Paul weinend auf meinem Schoss, Torsten sitzt bedröppelt daneben. Aber als wir sie ins Bett bringen, können sie schon wieder lachen, auch das Heimweh ist vergessen.

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