Der Indianer von Prat, Teil 2

Es hat mir keine Ruhe gelassen. Warum konnte ich mich letzte Woche nicht entscheiden? Ich musste noch mal nach Südtirol zum Prader Indianer und mindestens zwei von seinen Picasso-Steinen kaufen.

Also knapp eine Woche später bin ich wieder da. Lorenz steht am Eingang seines Museums und ratscht gerade mit einem Radfahrer. Als er mich auf der anderen Straßenseite parken sieht, kommt er mir entgegen und freut sich: „Du warst schon mal hier!“ Deshalb hab ich freien Eintritt – ein ganzes Jahr lang!

Ich hab ihm einen Ausdruck von meinem Besuchsreport von letzter Woche mitgebracht. Darüber freut er sich wie ein Schneekönig. Es interessiert ihn sehr, wie andere seine Ausstellung erleben. Meine Fotos gefallen ihm auch und er fragt, ob er sie für sein achtes Buch verwenden darf, das er bereits in Arbeit hat. Klar doch, ist mir eine Ehre. Bei der Gelegenheit frag ich ihn gleich, ob ich ihn fotografieren darf, um meinen Bericht um sein Konterfei zu ergänzen. Ich darf.

Manche Leute sind einfach fotogen und kommen immer gut auf Fotos rüber – Lorenz ist so einer. Aber wir müssen auch noch ein Foto am Totempfahl machen, weil das besser sein Schaffen und seine Botschaft  zum Ausdruck bringt – machen wir also.

Mir brennen so viele Fragen unter den Nägeln, vor allem die ungeklärte Sache mit den riesigen Hirschskeletten. Wie bringt er die kilometerweit aus dem Wald raus? Oder kriegt er sie von Jägern? „Nein, das ist alles in der Natur gefunden“, erzählt Lorenz. „Wenn ich aus dem Wald komme, bin ich vollbepackt und sehe aus wie ein Totengräber“ Dann lacht er: „Wenn mich die Leute so sehen, haben die manchmal richtig Angst vor mir!“

Aber Entwarnung für alle Wanderer und Spaziergänger in und um Prad: Normal ist Lorenz dort im Wald unterwegs, wo sonst kein Mensch hinkommt. Man sieht ihn nur hin und wieder, wenn er seine Fundstücke aus dem Wald raus zum Auto trägt.

Allerdings hat er im Moment das Problem, dass er gar nicht mehr so in den Wald kann, wie er gerne möchte. „Da hab ich mir vielleicht was eingebrockt“, lacht er und zeigt auf seinen Kunstgarten. „Ich kann das nicht mehr unbeaufsichtigt lassen. Wenn ich nicht da bin, wird alles abgeräumt und die Steine kriegen Beine…“

Die Leute, die in seinen Garten kommen, wissen oft nicht, was sie von ihm halten sollen. Er macht es ihnen auch nicht ganz leicht wenn er mit einem tösenden „Hallo, Hallo ihr lieben Leute, Willkommen, Willkommen – schaut euch um, tretet ein, und gebt mir dafür ein Eurolein…“ auf sie zutritt. Huch was will der? Einen Euro? Den wollte man doch eh in die Büchse stecken. Nun hat er einen irgendwie überrumpelt.

Während ich mir meine zwei Steine aussuche, kommt eine Familie mit Großmutter (so um die 60), zwei Töchtern und drei Enkelkindern. Letztere ziehen auf einer Mundharmonika blasend durch den Garten. Es gibt erst mal eine längere Diskussion um den einen Euro. Jeder einen Euro? Auch die Kinder? Macht ja zusammen 6 Euro. Vor allem die Großmutter mokiert sich. Aber dann zahlen sie – wo sie ja schon den Fuß im Garten haben und die Kinder überall herum rennen.

Später kommt die Oma in meine Nähe an der Steinmauer, wo ich immer noch über die richtigen Steine für meine Küche nachdenke – denn da sollen sie hin. Ich will zwei Steine, die gute Laune verbreiten, wenn man sie anschaut. Lorenz erklärt der Oma, dass sie auch Steine kaufen kann. Nicht alle, aber die in den oberen drei Reihen und auf dem Tisch. Ihr Gesichtsausdruck sagt alles – wer will das? Er geht wieder zu den Töchtern und Kindern und ich höre, wie sie „depperter Kram“ sagt. Lorenz‘ einfache Meinung zu solch einer Meinung: „Die habens nicht verstanden. Ich nehm ihren Euro, was sie denken, ist mir egal!“

Aber neugierig ist die Oma nun doch – wie er die Steine macht? Lorenz sagt toternst „Betriebsgeheimnis! Das ist so, wie wenn du mich fragst, wie man Liebe macht, ich erklär es dir und dann fährst du nach Hause und willst es selber machen.“ Ich krieg das alles in 10 Meter Entfernung mit und mich schüttels vor Lachen – der bringt Klopse!

Er sagt es ihr dann aber doch. Diamantscheiben sind die Lösung.

Einen anderen Besucher hat er mal damit geschockt, dass er einen seiner bemalten Steine in den hochwassertreibenden Fluss warf. „Der sah aus, als wollte er hinterherspringen“, grinst Lorenz. Anlass war, dass der Besucher den verlangten Preis von 100 Euro nicht bezahlen wollte. Da hat Lorenz ihm erklärt, wenn er Kunst nicht wertschätzen kann, schenkt er den Stein lieber dem Fluss. Weg war er.

Etwa einen halben Tag braucht Lorenz, bis er die gewünschten Konturen in den Stein geschnitten und ihn bemalt hat. Ich schaue ihm zu, wie er ein Sonnengesicht anmalt. Irgendwas gefällt ihm nicht so richtig.

Jede Linie und Form hat eine Bedeutung: Leben, Liebe, Kraft, Himmelsrichtungen… Er kann über jeden einzelnen Stein 15 bis 30 Minuten reden. Oder auch länger. Lorenz liebt Reime. Früher oder später beginnt er im Erzählen zu reimen, schmeißt Goethe oder Heinrich Heine in die Runde und schon sind wir mitten in einer philosophischen Betrachtung über Leben und Tod, Schein und Sein und ich weiß nicht was. Keine Ahnung, wie wir dahin gekommen sind.

Seine Liebe fürs Reimen und die Sprache hat er von der Großmutter. Ihr Bild ziert das Cover des vierten Buches.

Ich hab in seinen Büchern geblättert und war drauf und dran eines zu kaufen – dabei lese ich gar keine Gedichte. Aber ich konnte mich wieder nicht entscheiden. Die sieben Bücher sind alle toll – wie soll ich herausfinden, in welchem die Gedichte stehen, die mir am besten gefallen?

Lorenz hat für diese Frage eine simple Antwort, die er den Kindern der Familie erklärt, als die sich nicht entscheiden können, welches der angebotenen Spielzeuge sie nehmen sollen. Sie dürfen sich jeder nur eins aussuchen. „Wenn du dich nicht entscheiden kannst, dann hast du nicht eins sondern keins.“

Ja, nun hab ich kein Buch. Ich hoffe, ich denke nicht die ganze nächste Woche darüber nach, dass ich mir eins hätte kaufen sollen und fahr am nächsten Wochenende das dritte Mal nach Prad….

Das sind also sind meine beiden Steine. Nach mehrmaligem Auf- und Ab an der Gartenmauer und Vergleichen mit den anderen, hab ich mir zwei sonnige Typen ausgesucht. Gute Auswahl sagt Lorenz und erklärt mir die tiefere Bedeutung der Gravuren.

Die insgesamt vier Fransen neben den Augen symbolisieren Kraft. Die vier „Haare“ auf der Stirn sind die vier Himmelsrichtungen…

Bevor ich meine Steine ins Auto packen darf, werden sie noch mal von Lorenz fotografiert – zwecks Dokumentation seines Schaffens. Dann schenkt er mir noch zwei Williams Christ Birnen und ein Glas von seiner Marmelade.

5 Stunden Fahrt, um zwei Steine zu kaufen. Ich bin froh, dass ich gefahren bin. Ich hatte unglaublichen Spaß und nach fast zwei lustigen Stunden in Lorenz‘ Kunstgarten fahr ich glücklich weiter gen Süden, um noch mal übers Stilfserjoch zu fahren…


„Ich bin ein verrückter Künstler – da brauch ich auch eine verrückte Kuh!“

Und ewig lockt das Weib?

Peace & Love…