Mit den Jungs auf Helgoland

Der zweite Tag auf Helgoland bringt das nächste Drama und noch mehr Tränen. Nicht wegen Heimweh und auch nicht, weil sich die Jungs geprügelt haben. Sie sind mit meiner toll ausgedachten Inselschnitzeljagd total überfordert.

Wir machen uns auf den Weg zum Oberland, wo die Inselrally stattfinden soll. Siegfried leidet noch immer unter seinen eingebildeten Erschöpfungszuständen und muss permanent angetrieben werden. Er ist ein gut genährtes, gesundes und aufgewecktes Kind. Er hat nur keine Lust zu Laufen!

Als wir durch die Shoppingstraße der Unterstadt schlendern, mitten im Getümmel der frisch ankommenden Tagestouristen, probiert Siegfried aus, wie es sich auf so einer schönen breiten Straße schläft. Diesmal lass ich ihn wirklich liegen. Mir egal, wie die Leute kucken. Zum Glück kommt er schnell zu neuer Energie und rennt hinter uns her. Diese „Ein Bett auf dem Asphalt“-Nummer nervt , aber irgendwie ist er auch putzig.

Im Oberland angekommen teilen wir die Jungs in zwei Gruppen für die Schnitzeljagd ein. Die beiden ältesten, Jürgen und Daniel, sind die Chefs und bekommen den Zettel mit den Aufgaben. Daniel verkündet als erstes, dass er auf keinen Fall seinen lahmen Bruder Siegfried im Team haben will. Was ich verstehen kann. Jürgen will Siegfried auch nicht. Siegfried ist beleidigt. Wir lassen das Los entscheiden und Daniel zieht den Kürzeren. Er ist sauer und Siegfried versteht nicht, wieso Daniel ihn nicht dabei haben will. Er ist plötzlich so aufgekratzt und voller Tatendrang, dass wir ihn fast bremsen müssen, nicht gleich loszurennen. Der Dritte in Daniels Team ist Steve. Zu Jürgens Team gehören Sabbel-Felix und die beiden Schrankzertrümmerer Torsten und Paul.

Nach ein bisschen hin und her zieht die eine Gruppe nach rechts, die andere nach links ab. Rüdiger und ich machen es uns auf der Bank neben der Treppe gemütlich, freuen uns über eine kinderfreie Stunde und genießen die Aussicht aufs Unterland und das offene Meer. Wow, toll hier!

Das denkt sich auch das Kamerateam, das wenig später mitsamt Schlagersänger Tony Marshall anrückt, um genau hier Aufnahmen für irgendeine Schlagersendung zu machen. Wir müssen eine Bank weiterrücken.

Dafür sind wir aber live dabei, als Tony Marshall wenige Meter neben uns steht und singt. Der Wind spielt in seinen Haaren, im Rücken das weite Meer. Das ist das, was man später in der Schlagersendung sieht. Sein Gesang beschränkt sich darauf, dass er die Lippen bewegt und dazu eine ausdrucksvolle Miene auflegt. Ab und zu dreht er sich und weist mit der Hand aufs Meer. Soooo weit…. Wow, wir haben einen echt berühmten Schlagersänger getroffen.

Während der Schnitzeljagd spielen sich indes echte Dramen ab. Daniel ist dem Heulen nahe, als er und sein Trupp wieder bei uns eintrudelt. Sein Bruder hat ihn nicht nur genervt, sondern ging zwischendurch auch mal verloren und musste gesucht werden. Siegfried ist erbost, weil er nicht richtig mitmachen durfte und die anderen nicht auf ihn gehört haben, obwohl er sooo gute Ideen hatten. Steve fand die Rally doof und fragt, was wir als nächstes machen.

Auch Jürgens Gesichtsausdruck spricht Bände. Er hat einen weinenden Paul im Schlepptau. Nicht, weil er wieder was kaputt gemacht hat, sondern weil er doch erst sieben Jahre ist und noch nicht lesen kann. Er konnte gar nicht helfen. Das hatte ich Superpädagoge natürlich nicht auf dem Schirm, dass Kinder in dem Alter womöglich noch nicht lesen können. Felix ist von Torsten geschupst wurden und heult ebenfalls.

Auch dumm gelaufen: Ich hatte die armen Jungs in der Kieler Straße nach einem Haus suchen lassen,  dessen Nummer es gar nicht gibt. So hatten sie etwas Mühe die Frage zu beantworten, welche Farbe das Haus hat. Das passiert, wenn man eine Schnitzeljagd anhand von Stadtplänen ausarbeitet…

Jedenfalls sind alle Sieben aus den verschiedensten Gründen frustriert. Nicht mal der Stofftier-Elch (sponsert by Pharmakonzern), den jeder als Preis für die Rally bekommt, kann sie wieder aufmuntern. Paul erklärt sogar, dass er gar keinen Preis verdient hat, weil er doch nicht mitgeholfen hat.

Jeder auf seine Weise bedröppelt, marschieren wir gen Mittagessen zur Jugendherberge zurück. Nur Felix brabbelt wie gewohnt in Endlosschleife – glücklicherweise sabbelt er mit seinem Elch, den er Pupsi getauft hat.

Nach dem Mittagessen sieht die Welt wieder besser aus. Und nach einem nachmittäglichen Fußballspiel mit den Berliner Kindern wird sie noch besser. Rüdiger fragt, ob er nach dem Abendessen frei haben kann. Er macht sich auf gen Helgoland City und ich schreite zum nächsten Programmpunkt: Gemeinsames Singen und Spielen im Aufenthaltsraum. Steve findet alles doof und langweilig und motzt so lange rum, bis keiner mehr Lust auf Spielen hat. Den Punkt Gesang haken wir auch schnell wieder ab. Die von mir ausgesuchten Lieder kenn anscheinend nur ich und lernen wollen sie sie nicht – zumal die Kleinen ja noch nicht lesen können. Steve nöhlt rum, dass das langweiliger Mädchenkram ist.

Schließlich hängen wir einfach nur in den Sesseln rum. Siegfried und Felix spielen mit ihren neuen Elchen und erzählen den armen Tieren die Ohren voll. Daniel und Jürgen spielen mit Torsten Karten, Paul bemalt eine Postkarte an seine Mutti, auf die ich seine Adresse schreibe. Und Steve nöhlt, dass er zu Hause geblieben wäre, wenn er gewusst hätte, wie langweilig es hier ist. Irgendwann hört das Gemecker auf. Der Obermotzer ist mitten in der Rede auf dem Sofa eingeschlafen. Er schläft so fest, dass ich mit den anderen nach draußen gehe.

Auf dem Platz vor der Jugendherberge vermischen sich unsere Jungs mit den Berliner Kindern. Kerstin und Melissa sind auch da und wir tauschen uns über unsere Erlebnisse als Betreuer aus.

Ein Jugendherbergs-Gast kommt zielstrebig auf mich zu und informiert mich, dass im Aufenthaltsraum ein Kind vergessen wurde. Ich empfehle, den seelig schlafenden Steve einfach beim Fernsehen weiterschlafen zu lassen. Er ist der Ansicht, dass Steve da nicht schlafen kann. Wieso? Aber ich gehe mit und versuche Steve vom Sofa die Treppe hoch ins Bett zu verfrachten. Steve ist zwar einer der kleinsten, aber auch ein ziemliches Muskelpaket. Puh, ist der schwer! Auf halbem Weg wird er wach, meckert ein bisschen, torkelt dann im Halbschlaf mit mir raus und 2 Minuten später spielt er mit den anderen Fangen oder Verstecken. Von 0 auf 100 – Jungs!

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