Der Tag, an dem mein Auto starb

Heute hat sich der Tag gejährt, an dem ich vor 24 Jahren meinen heißgeliebten zitronengelben R4 mit seinen feuerwehrroten Punkten in der Finnmark stehen lassen und ohne ihn zurückfliegen musste. Und exakt heute bin ich die Stationen dieser Odyssee noch mal in umgekehrter Reihenfolge abgefahren.

Zu seinem ersten Auto hat man irgendwie eine ganz besonders Beziehung. Es macht einen frei, unabhängig, erwachsen… Ich hab meine Kiste heiß und innig geliebt und behaupte bis heute, dass ich nie wieder so ein cooles Auto hatte, wie meinen R4 mit der Revolverschaltung und seinen schönen roten Tupfen. Lauter Schönheitsflecken, die ich ihm nach vorausgegangener Rostbehandlung angedeihen ließ.

Jede neue Roststelle (und davon gab es ständig mehr) hab ich umgehend mit Rostschutzmittel behandelt und mit einem roten Kringel übermalt. Ich dachte, wenn mein Auto schon durch Roststellen entstellt ist, dann mach ich es wenigstens plakativ. Damit war ich damals in MG ein echter Trendsetter. Nachdem ich damit angefangen hatte, fuhren plötzlich mehrere gepunktete Autos in Mönchengladbach und Umgebung herum. Um mich von den Punkten der Nachahmer abzuheben, begann ich später sogar noch, meine Punkte in Tomaten umzumalen.

So im Nachhinein, würde ich sagen, es war ziemlich schwachsinnig mit DIESEM Auto zum Nordkapp zu fahren. Aber niemand hatte das Vorhaben in Frage gestellt und in der Renaultwerkstatt fiel den Leute nichts ein, warum mein R4 diese „Aussetzer“ hatte. Nach einer gewissen Strecke, wenn er warm gelaufen war, wollte er nach einem Stopp nicht mehr anspringen. Entweder musste man seeehr lange warten, bis er es dann doch wieder tat. Oder man wandte den Rütteltrick an, den mir der Renault Mann gezeigt hatte: Aussteigen und bei eingelegtem 1. Gang anschieben. Geht mit eingelegtem Gang natürlich nicht, sodass das Auto wieder zurückschnellt und man einen „Rütteleffekt“ hat. Das musste ich ein paar mal machen, Dann kam der Anlasser(?) irgendwie wieder frei und ging die Kiste sprang an.

Mein schwächelndes Auto hatte mir schon einige peinliche Momente bescherrt, wenn ich in Norwegen vor einer Autofähre stand und erstmal rütteln musste, bevor ich drauf fahren konnte. Aber es funktionierte. Bis es nicht mehr funktionierte.

Wir schrieben den 25. Juli, ein Tag vor meinem Geburtstag, den ich eigentlich am Nordkapp verbringen wollte. Glaub ich zumindest, dass das mein Plan war – ist ja schon 24 Jahre her…

Oberhalb von Oksfjord (ca. 250 km nördlich von Tromsö) geht es ziemlich hoch hinaus auf einen Fjell.

Die Straße verläuft oberhalb des Fjords und man hat eine fantastische Rundumsicht über die Fjordverzweigungen.

Die wollte ich fotografieren. Und tat es.

Danach sagte mein Auto nichts mehr. Kein Piep. Nichts mit Rütteln. Nichts mit gar nichts, tot!

Vor 24 Jahren hatte noch kein Mensch ein Handy. Das bedeutete, ich musste mir ein Telefon suchen. Davon gab es mitten auf dem Berg eher wenige :((( Somit hatte ich zur Wahl, zurück nach Oksfjord, oder weiter nach Gildertun. Da Gildertun voraus lag wusste ich nicht, wie weit es ist, und was mich da erwartet. Also schien mir Oksfjord die bessere Wahl, da gab es auf jeden Fall ein Telefon.

So packte ich das Warndreieck an den Straßenrand, stellte mich daneben und musste nicht lange warten, bis ich jemanden fand, der mich mit nach Oksfjord nahm. Den norwegischen NAF angerufen und erklärt, dass ich abgeschleppt werden muss und wo ich stecke. Und dass ich 1-2 Stunden brauche, bis ich wieder zu meinem Auto komme. Hätte ich die 10 km bergauf laufen müssen, wäre ich eher einen halben Tag unterwegs gewesen. Der nette NAF-Mann fragte, ob ich da wo ich stehe nicht bis morgen campieren könne, weil heute doch Sonntag ist. Das fand ich aber doof.

Abschleppdienst wurde informiert. Ich musste nur wieder zu meinem Auto kommen. Und das war ziemlich schwierig. Ohne das Warndreieck, war kein Mensch bereit, nen Tramper mitzunehmen. Also machte ich mich schon mal an den 10 km Aufstieg zu meinem Auto. Glücklicherweise hielt kurz vor mir an einer Abzweigung ein deutscher Caravan. Während das Pärchen darüber diskutierte, ob sie abbiegen müssen oder nicht, schrie ich wild winkend „HALT!“ Glück gehabt, die beiden nahmen mich mit zu meinem Auto.

Da saß ich und wartete auf den Abschleppdienst. Und der kam nicht. Nach 2 Stunden kam ich zu dem Schluss, dass er bestimmt schon dagewesen war, während ich auf dem Rückweg war. MIST! Also musste ich noch mal telefonieren. Diesmal entschloss ich mich in die andere Richtung nach Gildertun zu trampen. Gildertun ist ein Ausflugsrestaurant mit Hütten mitten auf dem Fjell, nur etwa 1 km von meinem Auto entfernt. Hätte ich mal eher wissen sollen…


Da gab es glücklicherweise auch ein Telefon. Noch mal angerufen und dann wieder zurück zum Auto marschiert. War ja diesmal nicht ganz so weit. Auf halber Strecke fuhr der Abschleppdienst an mir vorbei und wartete am Auto auf mich.

Meine Auto war wirklich tot, da half nicht irgendein schneller Mechaniker-Trick. Also wurde ich vor eine Werkstatt in Badderen abgeschleppt. Direkt am Fjord – eigentlich ein sehr schöner Stellplatz – verbrachte ich die letzte Nacht in meinem R4. Als ich morgens (an meinem Geburtstag) die Gardinen aufzog, grinsten mir ein paar Mechaniker entgegen.

Über die nächsten Stunden wurde geklärt, dass der Motor kaputt ist, dass ein neuer aus Tromsö kommen könnte und 900 Mark kosten würde. Darauf folgten zahlreiche Gespräche mit dem ADAC in Deutschland, der meiner Rückreise im Rahmen des Versicherungsschutzes zustimmte.

Rückreise… Da hatte ich nicht viele Möglichkeiten. Ich musste mit dem Überlandbus nach Alta fahren (in zwei Tagen kam der nächste) wobei nicht klar war, ob es einen Platz für mich geben würde und ob ich mit meinem ganzen Gepäck überhaupt mitfahren könnte. Von Alta mit dem Flugzeug weiter. Das war’s an Möglichkeiten.

Glück im Unglück, ein gelangweilter Spezie von dem Werkstattbesitzer (so um die 60) kam vorbei gefahren, um zu sehen, was abgeht und ein bisschen zu ratschen. Der erfuhr von meinem Dilemma und erklärte sich tatsächlich bereit, mich die 120 km nach Alta zu fahren. Für 60 Mark. Ich glaub, er wusste nicht, was er sich damit angetan hatte.

Nun konnte er mir erstmal eine Stunde zusehen, wie ich mein Auto ausräumte…

Einiges schenkte ich dem Werkstattbesitzer: Die alte Reiseschreibmaschine von Tante Liesschen – oder Marlies? (auf der ich unterwegs Reisetagebuch tippen wollte, es aber nie tat), den Dachgepäckträger, der meine Skier gehalten hatte (ich wollte in den norwegischen Sommerskigebieten Ski laufen!!!), Wolldecken von der NVA, die mir mein Cousin Thomas geschenkt hatte… Für den Auto-Casettenrekorder gab er mir noch etwas Geld, was ich sehr nett fand, wo das Auto doch eh zur Verschrottung da blieb.

Zum Schluss hatte ich zig Tüten und Kisten um mein Auto gestapelt, die nun auf die Ladefläche des Pickups geladen wurden.

Weil ich inzwischen total verschwitzt und dreckig war, durfte ich in der Werkstatt noch schnell unter die Dusche hüpfen. Ein sehr spezielles Erlebnis – Duschen in einer Männerdomaine. UFF!

Dann machten sich der Spezie und ich auf den Weg nach Alta. Problem war, dass wir beide keine gemeinsame Sprache hatten. Englisch konnte er nur ein paar Wörter und mein tolles, frisch erlerntes Schwedisch verstand er irgendwie nicht. So verlief die Fahrt sehr schweigsam.

Der Spezie fuhr ein extrem gemächliches Tempo – nie schneller als 70. Und das war soo langweilig und einschläfernd, dass ihm die Augenlider immer tiefer sanken. Das widerum machte mich etwas nervös. Mit regelmäßigen Ansprachen versuchte ich ihn wach zu halten. Eine Zigarettenpause machte ihn glücklicherweise wieder munter. Ich war sehr erleichtert, als wir nach 2 Stunden Alta erreichten und ich bin sicher, er war ebenso erleichtert, dass er mich wieder los war. Er half mir noch meinem Krempel vor dem Flughafengebäude abzuladen und verschwand dann schnellstens.

Die machten vielleicht Augen am Flugschalter, als ich da mit meinem Kram ankam. Muss ausgesehen haben, als wollte ich einen Flohmarktstand aufbauen. Und die wussten noch nicht, was ich für einen Stress machen würde.

Erst mal war da die Sache mit dem ADAC zu klären. Ich hatte zwar ein Heft mit verschiedenen Vouchers, mit denen ich den Flug bargeldlos bezahlen konnte. Aber ich war aus Germany und ich wollte nach Stockholm fliegen, um in Schweden meine Diplomarbeit abzuschließen. Erst nach Deutschland fliegen und dann wieder zur Diplomarbeit nach Schweden (ohne Auto!) wäre sehr doof gewesen. Der ADAC genehmigte meinen Flug nach Stockholm, ich wurde für den nächsten Morgen nach Narvik, Oslo, Stockholm eingebucht. Für jemanden, der bis dahin noch nie geflogen war, eine ganze Menge Fliegerei auf einen Schlag.

Jetzt begann das richtige Drama: Mein Gepäck. Viiiiel zu viel und so in den offenen Plastikkisten überhaupt nicht transporttauglich. Das nette Flugpersonal, das sich nicht anmerken ließ, wie sehr ich sie mit meinem Chaos nervte, versorgte mich mit einem Schwung flugsicherer Plastiksäcke und Klebeband. So wurden die Skier und die Kisten halbwegs transporttauglich gemacht.

Einiges durfte ich nicht mitnehmen – z.B. die Gaskartuschen von meinem kleinen Campingkocher. Ziemlich trübsinnig füllte ich mein Zeugs umschichtig in Flug- und in Müllsäcke. Die Mülltonne in der Flughalle wurde zusehends voller und das Personal schaute mir dabei zu, wie ich wieder ein Teil aussortierte und dann auf der Waage das Gewicht kontrollierte. Irgendwann konnten sie den Anblick nicht mehr ertragen. Oder vielleicht wollten sie auch nicht meinen ganzen Müll entsorgen. Ein netter Herr mit graumelierten Schläfen kam schließlich und erklärte mir, dass sie eine Ausnahme machen, ich darf alles mitnehmen – trotz Übergepäck.

Super nett!

Nachdem das geklärt war, machte ich mich bereit, mir ein Schlafplätzchen in der Flughafenhalle einzurichten. Irgendwo musste ich ja die Nacht bleiben. In dem Moment müssen die kurz vorm Nervenzusammenbruch gewesen sein. Die nächste Mitarbeiterin kam mit der Nachricht, dass der Flughafen nachts geschlossen wird. Ich kann hier nicht übernachten. Problem!

Sie gaben mir die Adresse von einem preiswerten Hostel in Alta und mit Hilfe meiner ADAC-Vouchers brachte mich ein Taxi dahin. Dort akzeptierten sie in meiner „Notsituation“ ebenfalls ein ADAC Voucher als Zahlungsmittel.

Was für ein Geburtstag!

Um noch schnell das Ende zu erzählen: Am nächsten Morgen flog ich über Narvik und Oslo nach Stockholm, dort packte ich meinen Trödel in den nächsten Zug nach Norrköping und dort holte mich Annja vom Bahnhof ab. Die hat Augen gemacht, als ich mitten im Hochsommer mit Skiern aus dem Zug stieg!

Die Erinnerungstour 2015

Irgendwie hab ich ja gedacht, mein R4 könnte da immer noch vor der Werkstatt stehen, so wie ich ihn damals verlassen hab. Inzwischen total verrostet, aber unverkennbar an den roten Punkten. Stand er natürlich nicht. Ha ha.

Aber ich fand’s total cool, dass die Autowerkstatt noch existiert. Wäre es nicht Sonntag gewesen, hätte ich die Nase reingesteckt und gefragt, ob sie sich noch an das R4 Desaster von vor 24 Jahren erinnern können. Vielleicht schick ich eine Email, die Werkstattsadresse hab ich ja, und die E-Mail wird sich bestimmt herausfinden lassen.

Die umgekehrte Strecke von Alta gen Süden hat mir noch mal gezeigt, wie schön es dort oben im Norden ist. Das ist mir damals neben meinem schläfrigen „Taxidriver“ und bei meiner schlechten Laune komplett entgangen, bzw. es hat mich an dem Tag überhaupt nicht interessiert.

Von Alta hab ich nun auch ein bisschen mehr gesehen als den Flughafen. Die Stadt ist um einiges größer, als ich sie in Erinnerung hatte. Überall stehen schöne neue Fertigholzhäuser – Modell Villa.