Dies ist eine kleine Geschichte über die Straßen in Island, einen total kaputten Autoreifen, einen beherzten Mechaniker, ein Küsschen und die Folgen der vorausgegangenen Reifenpanne…
Wer schon mal in Island war, dem erzähl ich nichts neues: Es gibt vier Sorten von Straßen bzw. Pisten.
Kategorie 1:
Asphaltierte Straßen – meist mit gröberem Belag als bei uns, aber sonst gut in Schuss, eigentlich sogar besser als bei uns.
Kategorie 2:
Schotterstraßen mit unterschiedlichem Belag, mal in besserem mal in schlechtem Zustand. Größtes Problem sind nicht die Schlaglöcher, sondern die Querrillen. Man darf 80 fahren, aber das ist nur selten und mit wenigen Fahrzeugen angebracht.
Kategorie 3:
Buckelige Schotter- oder Sandpisten – sogenannte F-Straßen, die nur von Jeeps mit Vierradantrieb befahren werden dürfen. Die Straßen sind oftmals nur wenige Monate im Jahr offen, manchmal kaum als Straße erkennbar und für PKWs strictly forbidden.
Kategorie 4:
Pisten (z.B. über Gletscher), die nur von Spezialfahrzeugen, Snowmobilen, Wanderern oder Pferden genutzt werden können.
Kategorie 4 und 3 waren für uns im PKW also eigentlich kein Thema, weil nicht befahrbar. Aber gleich am ersten Tag wollte mein Vater völlig ahnungslos eine Straße der Kategorie 3 befahren und so einen langen Umweg einsparen. Zwar stand da ein Schild, das uns die Weiterfahrt verbot, aber mein Vater, noch ganz neu in Island, war optimistisch, dass wir da trotzdem durchkommen.
Ich war nicht so überzeugt von der Sache… schließlich hatte ich mir vor Reisebeginn den Film „how to drive in iceland“ angesehen.
Nach knapp einem Kilometer durch riesige Schlaglöcher über Felsbrocken, Furchen und Erdrisse hinweg, sind wir wieder umgekehrt. Das hätten weder das Auto noch ich 80 km durchgehalten. Zumal nicht sicher war, ob uns nicht irgendwann eine tiefe Furt zur Umkehr zwingt.
Ich erwähn diese kurze Abenteuerfahrt nur deshalb, um zu zeigen, welch unbekümmerte Einstellung mein Vater anfangs (!) noch zu den isländischen Straßen hatte.
Auf einer Straße der Kategorie 2 (also Schotterstraße, oder auf englisch Gravel Road) sind wir erstmalig am zweiten Tag gefahren – um von Husavik über die Straße 864 zum berühmten Dettifoss zu gelangen und von dort wieder zu unserem Ferienhaus. Die Schotterstraße zieht sich etwa über 40 km hin, die es in sich haben!
Die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h war eigentlich ein Witz. Uns klapperten schon bei 60 die Zähne. Allerdings hatten wir auch kein islandtaugliches Fahrzeug, sondern einen normalen PKW. Die meiste Zeit fuhr ich so um die 40/50 kmh. Trotzdem war es ein Wahnsinnsgerutsche und Geschlingere, dem ich permanent entgegensteuern musste.
Die Querrillen waren riesig, der grobe Belag lose und die Straße glich einem Damm, auf dem man Gefahr lief, rechts oder links in die Lavafelder zu kippen. Mein Vater empfahl die ganze Zeit, ich solle weiter rechts fahren, in der Hoffnung, dass dort die Rillen weniger tief sind. Aber bei dem Gerutsche, war es viel zu gefährlich, an der Kante zu fahren.
Als wir dieses Schild sahen, dachten wir noch „Oh Je“.
Einen Kilometer weiter sahen wir dann, was passiert, wenn man in dem roten Auto sitzt. Puh!
Sorry unscharf, aber auf der Schotterpiste fahren, nicht vom Weg abkommen, schnell die Kamera schnappen und fotografieren – das alles auf einmal war etwas zu viel für ein gutes Foto…
Dann endlich wieder asphaltierte Straße und was ist – hoppel, hoppel… ein Reifen platt. Aber sowas von platt!
Ich hab keine Ahnung, wie lange ich mit dem kaputten Reifen gefahren bin. Es hat ja alles so gerappelt und geruckelt, dass überhaupt nicht erkannbar war, ob mit dem Auto alles okay. Der Reifen war ohne Ende gelöchert und die Felge total verbogen und verbeult.
Also Reifenwechsel bei frischen 4 Grad plus und heftigem Wind. Als wir mittendrin waren, hielt hinter uns ein großer weißer Jeep mit 4 Spaniern, die fragten, ob sie helfen können. Und schon waren die beiden Männer dabei und nahmen meinem Vater das Wagenhochkurbeln und den weiteren Wechsel ab. Wirklich nett!
Von den vieren sprach nur eine junge Frau englisch. Sie fragte, ob wir das umgekippte Auto gesehen hätten, also das von meinem unscharfen Foto. Das war ihr Wagen. Sie wollten gestern zum Dettifoss, sind nur ein klein bisschen zu dicht an die Kante gekommen, ins Rutschen geraten und dann war es vorbei, keine Chance… Wuff!
Passiert ist ihnen zum Glück nichts. Der isländische Autodienst kam und sie haben einen Ersatzwagen vom Autoverleiher bekommen. Aber was für ein Schreck! Ich hab mir grad noch mal den Film „how to drive in iceland“ angesehen, der zeigt wirklich anschaulich, wie schnell das gehen kann.
Nach der Begegnung mit den Spaniern war mein Vater sehr nachdenklich und meinte dann einsichtig, dass es gut sei, dass ich nicht so weit rechts gefahren bin. 😀
Nach dem Reifenwechsel konnten wir weiterfahren, aber jetzt hatten wir keinen Ersatzreifen mehr und konnten uns nicht erlauben, noch einen Reifen kaputt zu fahren – was meinen Vater ordentlich ins Schwitzen brachte. Dumm, dass es keinen Reifenhändler oder eine Werkstatt in der Nähe gab. Die einzige Werkstatt, die wir tagsdrauf sahen, hatte geschlossen (Samstag). Am Sonntag konnten wir noch weniger ausrichten. Am Montag (inzwischen waren wir in unserem zweiten Haus angekommen) ging’s dann gleich in der Früh nach Borgarnes, wo es eine „Reifen-Werkstatt“ gibt. Hurra!
Dann wurde es aber kompliziert. Neuer Reifen ja. Neue Felge, nein. Hatten sie nicht. Wer fährt in Island auch Renault? Der junge Mann war nicht besonders redselig und meinte, dass der Chef nicht da ist, und versuchte dann telefonisch, eine Felge über einen Schrotthändler oder über die Renaultvertretung in Reykjavik zu besorgen. Der Chef kam, ließ sich den Reifen zeigen, man diskutierte und der junge Mann telefonierte weiter herum. Der Chef ließ sich den Reifen ein zweites Mal zeigen. Man diskutierte und telefonierte weiter, bis wir von Renault hörten, dass sie einen Reifen samt Felge über Dänemark einschiffen lassen könnten. 10 Tage Wartezeit und very teuer… Und bis dahin wären wir auch schon wieder zu Hause gewesen…
Die beiden diskutierten weiter, der Chef ließ sich den Reifen ein drittes mal zeigen (Felge heißt auf englisch übrigens „Rims“) und meinte dann: „We fix it!“ Also hat er das schrottige Ding tatsächlich gefixt und die Felge ausgebeult…
Als er damit nach einer halben Stunde fertig war, verabschiedete er sich von meinem Vater mit Händeschütteln und von mir zusätzlich mit Küsschen auf die Wange. Ich glaub aber nicht, dass das üblich ist in Island. Meine Mutter hat sich fast schlapp gelacht.
Nun hätte alles gut sein können. Trotzdem ließ der neue Reifen meinen Vater nicht schlafen. Der hatte nämlich 3 mal so viel Profil wie die anderen drei Räder und bei uns gibt es solche Reifen nicht. Also Entschluss gefasst: Wir kaufen noch einen und die kommen beide hinten drauf…
Jut, noch mal zu der Reifenwerkstatt, dem jungen Mann erklärt, was Sache ist. Anschließend bin ich einkaufen geflüchtet, ich wollte kein zweites Küsschen. 😀
Somit wären wir eigentlich am Ende der Geschichte. Leider hatte sie noch weitere Auswirkungen. Mein Vater hatte durch das Erlebnis seine unbekümmerte Einstellung zu Islands Schotterstraßen komplett verloren. Ich war auch nicht so wild drauf, auf Schotter zu fahren, aber wenn es nunmal grad keine andere Straße gibt? Folge: Jedesmal, wenn es darum ging, auf eine Schotterstraße einzubiegen, mussten wir erst lang und breit diskutieren, ob ich das darf oder nicht.
Meist konnte ich nach ein paar Minuten die Zustimmung erlangen – aber nur unter Protest! Auf die Straße hoch zum Snaefellsjökul durfte ich nur deshalb, weil ich mal ein Stückchen hochfahren und um die Ecke kucken wollte. Weil ich dann grad schon unterwegs war, durfte ich auch weiter, allerdings nur, weil mein Vater dachte, es wären nur wenige Kilometer. Gut, dass er das dachte, sonst wär uns eine unglaublich faszinierende Fahrt entgangen, die selbst mein Vater als eines der Highlights der Reise anführt. Obwohl er die ganze Zeit gezittert und gewettert hat.
Noch ein kleiner Nachtrag:
Mit dem Schild im Heck macht der Brite darauf aufmerksam, dass er des Rechtsfahrens unkundig ist.