Rossi singt jetzt im Kastraten-Chor

Ich weiß nicht, wie lange ich über das Thema Kastration nachgedacht hab. Endlos. Unser früherer Hund hatte praktisch gar keine Triebe, da gab es nichts zu überlegen. Aber Rossi ist ein ganz anderes Kaliber. Ich wollte auf keinen Fall an meinem Hund rumschnibbeln lassen, nur damit er ruhiger und es für mich bequemer wird. Aber weil mein Hund ein langes Leben haben sollte, musste ich es machen lassen.

Rossi ist per se ein Zappelhund, immer in Gange, immer dabei. Wäre er in der Schule, hätte bestimmt längst der Lehrer angerufen, dass er ADHS hat oder so.

Dazu kommt, er besteigt alles, was gut riecht. Es war nicht nur nervig, ihn ständig von der dauerläufigen Nachbarhündin fernzuhalten, vor allem war es gefährlich. Kaum hat er sie gerochen, waren seine Ohren und Augen für alles andere um ihn herum dicht. Sein rufendes Frauchen war ihm schnurzpiepegal. Und die vorbeirasenden Autos ebenso. Nichts wie über die Straße und mit der gutriechenden Hundedame auf Abenteuer. Dazu kam noch sein Reviergehabe und der Größenwahnsinn, jedem Hund, der mindestens 3 mal so groß ist wie er, Bescheid zu geben, dass er der Chef ist.

Nach drei Jahren Hormonstress hatte ich die Nase voll und dachte, ich probier das jetzt mit einem Hormonchip und schau mir an, wie er sich dann benimmt und was sich sonst so verändert.

Im Verlauf der Wochen schrumpften seine Hoden auf Haselnussgröße. Die Hundedame wollte er zwar weiterhin beglücken, nur ging da nichts mehr. Fast tat er mir leid, wenn er total beschämt wieder von ihr runterkletterte und sie frustriert von dannen zog. Er hat weiter markiert, aber nicht mehr so besessen wie vorher.

Sein Verhalten gegenüber anderen Rüden wurde komplizierter. Sein Reviergehabe ließ nach, aber dank der Hormondröhnung wurde er für die Jungs interessant. Nachdem ihn einige Rüden bedrängt hatten, giftete er fortan jeden Rüden schon aus 5 Meter Entfernung an: „Komm mir bloß nicht zu nahe!!!“ Sogar aus dem geschlossenen Auto unterschied er zwischen Mädel und Junge und giftete sie an. Mit kastrierten Rüden kam er auch nicht mehr gut klar, selbst seine alten Freunde mochte er nicht mehr. Also ein Teilerfolg, aber letztlich auch nicht supertoll.

Anfang Januar, gut 8 Monate nachdem er den Chip bekommen hatte, ließ die Wirkung langsam nach. Seine Hoden waren noch winzig, aber Rossi wurde wieder markierbesessen. Nix wie hin zu dem Duft, nichts mehr sehen, nichts mehr hören. Das war der Moment, in dem ich mich zur Kastration entschlossen habe. Bei ihm drehen einfach alle Sicherungen durch, wenn er in Wallung kommt.

Ich hab noch endlos in verschiedenen Hundeforen recherchiert. Es gab unzählige Befürworter und ebenso viele Gegner, die meinten, es wäre alles eine Erziehungssache. Mag sein, aber ich hätte seinen Hormontrieb nicht erzieherisch in den Griff bekommen. Die Gefahr, dass ich ihn nicht bremsen kann und er irgendwann vors nächste Auto rennt, war einfach zu groß. Und strikte Leinenpflicht war auch nicht die Lösung. Also hab ich beim Tierarzt angerufen und einen Termin ausgemacht.

Die OP verlief gut. Nach einer Stunde konnte ich ihn wieder abholen und er hat die Narkose zuhause auf „seinem“ Sofa ausgeschlafen. Die Halskrause, die er laut Tierarzt mindestens 5 Tage tragen sollte, war allerdings ein Witz. Nach 5 oder 6 Stunden war er soweit, dass er torkelig aufstehen konnte und in der Wohnung herumgeschwankt ist. Da er etwas inkontinent war, hab ich ihn zum Pieseln runtergetragen. 2 Stunden später war er wieder richtig munter und konnte selber noch mal runterlaufen. Dabei ist er mit der riesigen Halskrause an jeder Treppenstufe angedonkt.

Kaum waren wir draußen, hat er sich zweimal geschüttelt, einmal mit der Pfote an der Halskrause rumgekratzt und schon war sie ab. Und das blieb sie. Sein Kopf ist einfach schmaler als der Hals, das Ding wäre nie an Ort und Stelle geblieben. Stattdessen hab ich ihm ne Kinderunterhose angezogen und sie an seinem Geschirr angeknotet. Das war um Welten besser. Die OP-Wunde ist gut verheilt. Dadurch, dass er vom Hormon-Chip immer noch Schrumpfhoden hatte, ist der Schnitt auch nicht sehr groß geworden.

Rüden sind ihm nach wie vor nicht ganz geheuer, aber es wird langsam besser. Er ist nach wie vor ein Zappelhund, aber nicht mehr so schrecklich triebgesteuert. Im Moment ist er total verfressen, aber das kann auch am Frühling liegen. Er klaut überall Katzenfutter und was ihm sonst so unterkommt. Zum Ausgleich spielen wir viel mit seinem Ball. Ich würd sagen, in seinem Fall war die Kastration eine gute Entscheidung. Er scheint das Ganze auch gar nicht so richtig mitbekommen zu haben.

Ganz witzig sind jetzt die Begegnungen mit der dauerläufigen Hundedame Toscha, die immer noch regelmäßig bei uns vor der Tür sitzt und auf Rossi wartet. Rossi freut sich kurz, sie zu sehen, dann geht er pieseln und sie ist ihm schnurzpiepegal. Wenn sie dann mit dem Hinterteil vor seine Nase herumwedelt macht er einen Gesichtsausdruck also würde er sagen „Was soll das denn?“. Dass ihn das früher mal sehr interessiert hat, scheint er komplett vergessen zu haben.

Er haut nicht mehr mit ihr ab, stattdessen kommt er zu mir und will ins Auto, um vor ihren Aufdringlichkeiten zu flüchten. Sehr gut!