The holy white Fish und Anders mit der Kettensäge

Nach Ortnevik an der Südseite des Sognefjords gelangt man dreimal am Tag (sehr früh und am späten Nachmittag) mit der Fähre von Nordeide aus oder nach einer mehrstündigen Autofahrt entlang des südlichen Fjordufers. In dem kleinen pittoresken Ort scheint Norwegen noch so richtig norwegisch.

Ein Lebensmittelgeschäft, eine Schule mit Spiel- und Fußballplatz, eine sehr hübsche rote Holzkirche…

viele kleine Holzhäuser und Bauernhöfe in den Hängen verteilt, im Hintergrund die Berge und drei hohe Gipfel

im Vordergrund der Sognefjord.

Landwirtschaft und Fisch sind der Haupterwerb in Ortnevik. Gleich am Hafen farmt die Fa. Sogn Aqua in einer großen Anlage Heilbutt (das graue Feld links am Fjord). Ungewöhnlich ist, dass er an Land statt in großen Becken im Fjord gefarmt wird. Als Vorteil führt Sogn Aqua an, dass so der Lebensraum im Fjord und das Wasser unversehrt bleibt. Das Wasser für die Anlage wird aus der Tiefe des Fjords angezogen und durchläuft erst die Zuchtbecken und anschließend eine Filteranlage. Gereinigt wird es dann wieder zurück zum Grund des Fjordes geleitet.

Auf der Sogn Aqua Website erfährt man im weiteren, dass der gefarmte Heilbutt dank eines besonderen Systems noch größer wird als seine wilden Meeresbrüder, außerdem hat er Sushiqualität.

Geradezu mystische Geschichten hat sich die Marketingabteilung rund um ihr Produkt ausgedacht. Werbeträger sind ein sehr sehr hellhäutiges Kind, ein ebenso bleiches Pärchen und ein weiser weißer Mann. Um jede dieser Figuren wurde eine besondere Heilbuttgeschichte gesponnen. Fast märchenhaft schön… Besonders gefällt mir der Satz „The girl waiting for him in the little village on the other side of the fjord is as light and beautiful as the halibut in the boat.“ Du bist so schön wie ein Heilbutt? Das ist doch mal ein Kompliment!

Weil die erste Fähre um 7.30 (knapp verpasst!) und die nächste erst um 15.40 geht, hatte ich einen ganzen Tag in Ortnevik. Erstmal war ich mit Rossi baden. War herrlich. Die Dorfgemeinschaft hat einen hübschen kleinen Badestrand angelegt, ergänzt um Tische und Bänke und Grillgelegenheit.

Die brütenden Möwen schauten uns von einem ausrangierten Bootsanleger skeptisch bei unserem Geplansche zu.

Naturstrände gibt es am Fjord nur selten. Meist muss man über die Klippen oder Felsgeröll reinklettern. Was an sich nicht weiter schlimm wäre, aber durch den Wasserpflanzenbewuchs ist es höchst glitschig. Da rutscht und plumpst man schnell mal ins Wasser. Und dann an den glitschigen Felsen wieder rausklettern… Also ein Badestrand ist wirklich eine richtig tolle Sache!

Anschließend bin ich in die Straße weiter hochgefahren und bei Anders Brekke hängengeblieben. Besser gesagt, ich hab seine Frau Kristi getroffen und gefragt, ob ich mich ein bisschen umsehen darf. Und dann bin ich mit Kristi hängengeblieben. Erst bekam ich eine Führung durch Anders Brekkes Künstlergarten und dann noch eine Tasse Kaffee.

Anders war derweil mit zwei Amerikanern beschäftigt, die über Fjord-Adventures einen Ausflug nach Ortnevik gebucht hatten – inklusive Besuch von Sogn Aqua und Anders‘ „Künstlergarten“. So konnte ich leider nicht mit dem Kettensägen Künstler persönlich sprechen, aber Kristi hat mir alles erklärt.

Unsere Unterhaltung fand in Schwedisch/Norwegisch statt. Wir haben uns tatsächlich gegenseitig sehr gut verstanden, obwohl mein schwedisch nicht übermäßig gut ist und schwedisch/norwegisch unterschiedliche Sprachen sind. Aber es ging gut und es war richtig nett.

Der Bauernhof der Brekkes ist seit 1896 in Familienbesitz. Zum Hof gehört unter anderem eine Sägemühle, sodass Anders von Klein auf mit Holz zu tun hatte. Schon in jungen Jahren hat er sein erstes Ruderboot gebaut. Nach vielen weiteren Booten (inklusive einem Kabinenkreuzer und Wikinger Langboot) und allen Holzarbeiten und -Bauten auf dem Hof, kam er 2004 auf die Idee, seine Kettensäge nicht nur für nützliche Bauten einzusetzen. Beim Open England Kettensägen Wettbewerb in Sandringham holte er sich künstlerische Inspiration und dann legte er los. Es entstanden eine Hand, die ein Schwert hält, ein Bär, eine Eule, ein Adler usw.

Das erste beeindruckte Kunstwerk sieht man bereits von der Straße aus: Zwei große Holzhände, die aus der Erde kommen und an dem riesigen Felsen neben dem Stall Halt suchen. Die Rückkehr der untoten Trolle?

Kristi hat erzählt, dass sich Anders die Bäume und ihren Wuchs genau anschaut, und sich dann überlegt, was drin steckt. In einem steckte z.B. Gott Odin mit Schwert, Beil und Rabe. Er wacht jetzt am Eingang über den Künstlergarten.

In einem anderen Baum hat er ganz deutlich einen Lindwurm gesehen.

Der schien ihm dann aber doch zu mächtig und furchteinflößend in dem friedlichen Künstlergarten. Also hat er zur „Entspannung“ einen Schwan daneben gesetzt.

„Wir nennen sie Beauty and the Beast“, lacht Kristi. Mir steht an dieser Stelle etwa zwei cm hoch das Wasser in den Schuhen. Der Künstlergarten ist mitten im Wasser angelegt, bzw. auf einer kleinen Insel, die durch die Wasserkraftanlage am Bach entstanden ist. Früher wurde auf dem Hof mithilfe der Wassermühle das Korn gemahlen, heute liefert der Bach den Strom fürs Haus und den Hof.

Schwer beeindruckt war ich von der riesigen Kettensägen-Kette.

Die Kette wurde quasi am Stück aus einem einzigen großen Baum gearbeitet! Alle Kettenglieder sind frei beweglich, aber geschlossen.

Die Holzlatten im inneren Kreis haben einen Bezug zur Øl-Herstellung (wenn ich es richtig verstanden habe). Øl ist in norwegisch Bier. Und  im Inneren liegt ein Buch mit guten Wünschen in norwegischen Runen.

Das Kernstück in Anders Künstlerpark ist eine Miniatur Stabkirche. Wie er auf die Idee gekommen ist, hab ich nicht ganz verstanden, aber vom Fundament bis zu hunderten hölzernen Dachziegeln hat er im kleinen Maßstab eine typisch norwegische Kirche nachgebaut.

Von außen wirkt das Kirchlein klein wie eine Puppenstube.

Ich hätte geschätzt, dass vielleicht 10 Leute reinpassen. Aber Kristi erzählte mir, dass sie bei einer Veranstaltung mal mit 60 Leuten in der Kirche waren. Es war eine ganze besondere Veranstaltung, denn es gab Sushi! Hatten wir doch schon mal. Als ich mit Kristi geplaudert habe, wusste ich noch nichts von dem Sogn Aqua Sushi Heilbutt, deshalb konnte ich sie nicht danach fragen. Aber ich vermute mal stark, dass das Sushi vormals in den Becken unten am Hafen herumgeschwommen ist.

Beim Eintreten umhüllt einen der wunderbare Holzgeruch der Kirche. Es gibt einen winzigen Vorraum mit Gästebuch. Im Inneren steht ein rustikaler hölzerner Altartisch mit Bänken. Das ist keine Atrappe, es kann tatsächlich geheiratet werden in Anders Brekkes Miniatur Kirche. Wer mag, kann sie mieten.

Hinten beim Lindwurm tritt die Braut in den Garten und auf die Kirche zu. „Weil es da so nass ist, kann sie keine teuren Brautschuhe tragen und kommt in Gummistiefeln“ erzählt mir Kristi lachend. Gummistøvler auf norwegisch und Gummistövlar auf schwedisch. Kluge Braut, so hat sie keine 2 cm Wasser in ihren Schuhen stehen wie ich. Schwapp, schwapp…

Der Strom in der Kirche wird über eine kleine Wassermühle produziert, die Anders gebaut hat.

Vieles, was Anders mit seiner Kettensäge geschaffen hat, hat Bezug zur nordischen Göttermythologie oder zur norwegischen Natur.

Während Kristi und ich vor der Kirche stehen, Kaffee trinken und in die Landschaft schauen, zeigt sie hoch zum Øksefjellet und erzählt: „Als ich ein Mädchen war, bin ich einmal ganz oben auf dem Berg gewesen. Es war ein langer und sehr schwieriger Aufstieg. Dann saß ich da oben auf der Spitze, hab auf unser Tal und den Fjord herunter geschaut und gedacht. Hier ist es schön.“

Diesen Gedanken teile ich schon vom Brekkehof aus, ohne auf der Spitze des Øksefjellets gewesen zu sein…

Leider wird es irgendwann Zeit, zurück zum Hafen zu fahren. Danke Kristi für die tolle Führung, deine Gesellschaft und den Kaffee. Ich hatte einen sehr schönen Tag in Ortnevik.

Auf dem Weg zum Hafen treffe ich noch mal die Amerikaner, sie bekommen gerade ihre Holy Heilbutt-Vorführung.

Die Fähre von Ortnevik nach Nordeide ist winzig  aber flott.

Gerade mal acht kleine Autos passen problemlos drauf. Da die Fähre nur eine Auffahrt hat, müssen sich alle rückwärts einfädeln.

Durch einen größeren Campingbus aus Frankreich und meinen Expert ist die Fähre schon mit sechs Autos ziemlich voll. Zumal der SUV nach mir durch ein Fahrrad im Heck Überbreite hat. Das letzte, siebte Auto soll deshalb quer vor die anderen geparkt werden. Was theoretisch möglich wäre. Nur schafft es die Fahrerin nicht, sich in diese Minilücke einzufädeln. Also wieder runter, der SUV noch mal vor, ich weiter nach links ans Nebenauto, der SUV halb rechts neben mich gequetscht. Jetzt passt das siebte Auto gerade rückwärts rein. Der zweite Offizier meint grinsend. „Wir nehmen alle mit, die mitwollen.“

Ich kann leider meine Tür nicht mehr öffnen (auf keiner Seite) und muss im Auto sitzen bleiben. Nicht schlimm, aber ich hab die Speicherkarte für die Kamera hinten liegen, da komm ich nicht dran und kann deshalb leider keine Bilder von dem lustigen Chaos machen.

In Moejen gibt es einen Zwischenstopp. Das letzte Auto verlässt uns, dafür kommen zwei neue dazu. Die ja eigentlich nicht drauf passen. Aber der zweite Offizier nimmt alle mit, die mitwollen!

Der SUV muss erstmal ein Stück vorfahren, damit überhaupt die Fußgänger-Passagiere mit Kinderwagen und Rollstuhl die Fähre verlassen können. Anschließend schafft er es, sich trotz Fahrrad zwischen mich und die Schiffstreppe zu quetschen. Nun kommt er auch nicht mehr raus, und kein Mensch mehr an irgendwas vorbei.

Er meint aber, dass er doch raus kommt und klettert tatsächlich aus dem Fahrerfenster. Sportlich! Nur nützt ihm das nicht viel, denn der Spalt zwischen unseren beiden Autos ist so schmal, dass er drin stecken bleiben würde. Das wird ihm klar, als er versucht, seinen Fuß auf den Boden zu kriegen. Also klettert er wieder zurück und dann in die andere Richtung, aus dem Fenster über den Dachgepäckträger zum Heck und dann runter. Der kann klettern! Das wäre DAS Foto geworden!

So fahren wir weiter nach Nordeide. Weil die Autos rückwärts drauf stehen, hab ich die ganze Zeit den Øksefjellet im Blick und stell mir vor, wie die kleine blonde Kristi da oben auf dem Berg sitzt, runter auf ihr Dorf und den Fjord schaut und ihre Heimat herrlich findet.

PS. Anders Brekke hat auch drei schöne Cabins gebaut, in denen man herrlich Ferien machen kann!